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Etymologie von "Evaluation"

(von Wolfgang Karbach)

Vorbemerkung JH: Der folgende Text stammt nicht von mir (Jan Hense), sondern von Herrn Manfred Karbach. Er war lange Zeit unter der URL http://schulen.hagen.de/GSGE/ew/EvalW.html (archivierte Seite external) verfügbar, scheint allerdings inzwischen nicht mehr online zu sein (Stand: September 2005). Ich erlaube mir, an dieser Stelle ein Kopie der Seite zu veröffentlichen, die ich im Februar 2003 gespeichert habe. Der Inhalt ist unverändert und nur in den Formatierungen leicht modifiziert.
Da ich in der Literatur keine andere Stelle kenne, die die Etymologie des Begriffs so gründlich herleitet, denke ich, dass ich damit im Sinne des Original-Autors handle. Der Copyright-Hinweis am Ende dieser Seite wird automatisch generiert und kann nicht für einzelne Seiten unterdrückt werden, daher weise ich hier noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass das Copyright für den folgenden Text bei Wolfgang Karbach liegt.
Falls Herr Karbach diese Seiten liest oder andere Nutzer/innen von evoluation.de ihn kennen, würde ich mich sehr freuen, wenn er mit mir in Kontakt treten würde, damit ich ihn nachträglich um eine Erlaubnis zur Veröffentlichung bitten kann. Es folgt der Text von Herrn Karbach.


Einrichtung: 13.06.1998
Letzte Änderung: 01.01.2000

Anmerkungen zum Wort Evaluation

Der unbefangene Sprecher hält das Wort Evaluation für lateinisch, allerdings wird er es in einem lateinischen Wörterbuch vergeblich suchen. Es handelt sich vielmehr um eine romanische Neuentwicklung.

Aus dem lateinischen Verb valere ("bei Kräften sein", "wert sein", stammverwandt mit dem althochdeutschen waltan) entwickelt sich das französische valoir [1]. Dessen Partizip Perfekt valu wird gegen Ende des 12. Jahrhunderts in seiner femininen Form value substantiviert [2] mit der Bedeutung «valeur, prix» [3]. Davon wird wiederum das Verb évaluer und von diesem das Substantiv évaluation [4] gebildet. Im heutigen Französisch bedeutet évaluation "Schätzung", "Ermittlung" oder "Wertbestimmung" [5].

Mit dieser Bedeutung ist das Wort in der Aufklärungszeit ins Deutsche entlehnt worden; allerdings meinte man wohl, ein ursprünglich lateinisches Wort vor sich zu haben, und "verbesserte" die als unlateinisch empfundene Lautfolge ua zu va Evalvation [6]. In dieser Gestalt ist das Wort noch 1960 und 1968 belegt. [7] Danach verschwindet das Wort aus den Nachschlagewerken. [8]

In der Mitte der achtziger Jahre taucht es wieder auf, allerdings in neuer deutscher Lautgestalt und mit einer zusätzlichen Bedeutung: Evaluation als "Beurteilung von Lehrplänen und Unterrichtsprogrammen". [9]

Diese Semantik kann, wie wir gesehen haben, nicht aus dem Französischen kommen. Sie stammt vielmehr aus dem Englischen, wo das aus dem Französischen entlehnte evaluation auch "Einschätzung" und "Auswertung" [10] bedeutet. Dies und die geänderte deutsche Phonetik (u statt v) machen kenntlich, daß es sich nunmehr um eine Neuübernahme aus dem Englischen handelt.

Leider wird das aber im deutschen Sprachgebrauch nicht klar, denn das Wort wird quasi-lateinisch und nicht englisch ausgesprochen. Vom etymologischen Standpunkt wäre aber die englische Aussprache zu bevorzugen, denn es handelt sich schließlich um kein lateinisches Wort. Vielleicht aber sollte man auf den Gebrauch von Evaluation ganz verzichten, denn "Lehrplanbeurteilung" drückt klarer aus, was eigentlich gemeint ist.

Manfred Karbach, Lünen 1998


[1] So seit der Chanson de Roland Ende 11. Jh. «avoir un certain mérite» (Walther von Wartburg: Französisches Etymologisches Wörterbuch. Bd. 14. Basel: Zbinden 1961. S. 153)

[2] Paul Robert: Dictionnaire de la langue française. Tome 6. Paris 1964. p. 933

[3] ebd. S. 132. Wartburg führt als erste Nennung das Jahr 1180, Robert das Jahr 1248 an. Value ist bis ins 17. Jh. gebräuchlich, stirbt danach aber aus (Trésor de la Langue Française. Centre National de la Recherche Scientifi-que. Tome 8. Paris 1980. p. 333)

[4] «1365 évaluacion ‘action d’évaluer’ [...]. Dér. du rad. de évaluer, suff. -tion.» (Trésor de la Langue Française. Centre National de la Recherche Scientifique. Tome 8. Paris 1980. p. 332)

[5] vergl. Erich Weis und Heinrich Mattutat: Pons-Großwörterbuch Französisch-Deutsch. Stuttgart 1988. S. 219

[6] vergl. Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache. Bd. 2. Mannheim 21993. S. 996

[7] Duden, Bd. 5: Fremdwörterbuch. Mannheim 1960. S. 179; Gerhard Wahrig: Deutsches Wörterbuch. Bd. 1. Gütersloh 1968. Sp. 1176; beidesmal als veraltet gekennzeichnet.

[8] So haben weder Meyers Enzyklopädisches Lexikon im Bd. 8 (Mannheim 1973) noch Lutz Mackensen: Ursprung der Wörter (München 1985) einen entsprechenden Eintrag.

[9] Duden, Bd. 5: Fremdwörterbuch. Mannheim 61997; so bereits die Brockhaus-Enzyklopädie, Bd. 6, Mannheim 1988; auch die Neubearbeitung des Wahrig hat nunmehr Evaluation (Deutsches Wörterbuch, Gütersloh 1997, S. 450). Zum ersten Mal erscheint Evaluation 1984 (s. auch Fußnote 6).

[10] vergl. Duden-Oxford Großwörterbuch Englisch. Mannheim 1990. S. 247. In dieser Bedeutung im Englischen erstmals 1779 (s. auch The Oxford English dictionary. Vol. 3. Oxford: Clarendon 1933. p. 327)

Letzte Änderung: 8 Feb 2013 - 14:52
 
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